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Sexistische Hassrede als Menschenrechtsthema ernst nehmen

Am 10. Dezember 1948 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR). Heute werden noch immer Menschenrechtsverletzungen vor den Augen der Weltöffentlichkeit begangen. Dazu kommen neue Herausforderungen wie sexistische Hassrede im öffentlichen und digitalen Raum. EAF-Expert Laura Giardina zeigt anlässlich des Tags der Menschenrechte, dass sexistische Hassrede ein Menschenrechtsthema ist und wie man sie bekämpfen kann.

Die AEMR gilt als völkerrechtliches Meilensteindokument. Aber: Angesichts der multiplen Menschenrechtskrisen weltweit sind 75 Jahre Resolution 217 A (III) kein Grund zum Feiern. Selten war es wichtiger, globale Menschenrechtssysteme zu schützen und zu stärken [1].

Die Geschichte der (universellen) Menschenrechte

Die Idee von „Menschenrechten“ beginnt keineswegs erst 1948. In nationaler Form wurden sie zum Beispiel 1776 in der Virginia Bill of Rights, 1789 in der Déclaration des droit de l’homme et du citoyen und in Grundrechtskatalogen staatlicher Verfassungen im 19. Jahrhundert verschriftlicht. Das Problem: Sie galten nicht universell, also nicht überall und für jede*n. Erst 1948, nach Ereignissen des zweiten Weltkriegs, folgte mit dem turn to rights  ein internationaler Menschenrechtsschutz durch die Staatengemeinschaft (VN). Nicht nur sollten Menschenrechte als universelle Rechte jedem Menschen (Art. 2 AEMR) zustehen, Menschenrechte wurden nun als politisch-moralische Doxa[2] verstanden. Als Selbstverständlichkeit, die weder kritisiert noch hinterfragt werden soll. Fest steht: Erstmalig hatte man sich nun auf weltweit geltende Menschenrechte auf Grundlage eines gemeinsamen Verständnisses von Menschenwürde geeinigt.

Neue Herausforderungen in einem neuen Zeitalter

Wissenschaftler*innen erforschen heute, wie es um die Menschenrechte in einer digitalen und globalisierten Welt steht. Sie fragen sich: Wie verändern die multiplen Krisen weltweit den Umgang mit Menschenrechten? Sie sagen auch: Fragen um Klimagerechtigkeit, unternehmerische Verantwortung in globalen Lieferketten, Flucht- und Migration sowie der grenzenübergreifende Rechtsruck und das Zurückdrängen von Frauenrechten – etwa die Aufhebung von „Roe v. Wade“, der Grundsatzentscheidung zum Abtreibungsrecht in den USA, die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan oder Gewalt der Sittenpolizei im Iran – machen es unabdingbar, sich mit gesellschaftlichen Transformationsprozessen und ihren Auswirkungen auf den Menschenrechtsschutz auseinanderzusetzen.

Frauenrechte sind Menschenrechte

Apropos Frauenrechte: Bereits 1966 gab es Maßnahmen, Frauenrechte in der AEMR stärker zu verankern. 1979 wurden sie durch die „Convention on the Elimination of Discrimination against Women“ (CEDAW) verbrieft und Staaten verpflichtet, diese umzusetzen. Die Istanbul-Konvention von 2011 wurde von 13 Mitgliedstaaten des Europarats unterzeichnet und erkennt geschlechtsspezifische Gewalt als Menschenrechtsverletzung an. Dennoch warnen internationale Non-Profit Organisationen davor, dass Rückschritte im Bereich Frauenrechte und Gleichstellung der Geschlechter gemacht werden.

Sexistische Hassrede und politische Partizipation

„One step forward and three steps back“: Dieses Gefühl kennen Feminist*innen allzu gut. Je mehr Frauen Machtpositionen innehaben, desto lauter werden antifeministische Stimmen und sexistische Hassrede. Und das nicht nur gegen cis Frauen[3], sichtbar beim Diskurs über das Selbstbestimmungsgesetz. Als Sexismus bezeichnet man die Diskriminierung und Herabwürdigung aufgrund des Geschlechts – online oder offline. Viele Frauen und Mädchen aber auch Menschen, die in der binären Vorstellung von Geschlecht nicht genderkonform auftreten, erleben tagtäglich sexistische, misogyne oder diskriminierende Aussagen oder Beleidigungen. Vor allem in der Politik ist sexistische Hassrede weit verbreitet und hat Auswirkungen auf die politische Partizipation.

Eine Kultur der Akzeptanz von Sexismus – in Deutschland und weltweit

2020 hörten Reporter*innen, wie der US-Kongressabgeordnete Ted Yaho seine Kollegin Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez als „Schlampe“ bezeichnete. Ocasio-Cortez betonte in einer Rede daraufhin: „Bei diesem Thema geht es nicht um einen einzelnen Vorfall. Es ist ein kulturelles Problem“ und „es geht um eine Kultur der Akzeptanz von Gewalt und gewalttätiger Sprache gegen Frauen und eine Machtstruktur, die das unterstützt“. Die Studie der EAF Berlin „Parteikulturen und die politische Partizipation von Frauen“ zeigte, welche Auswirkungen Sexismus und Gewalt auf die politische Teilhabe von Frauen in Deutschland haben. Das Problem ist strukturell: Insgesamt 40 Prozent der befragten Politikerinnen haben schon Erfahrungen mit sexueller Belästigung gemacht, bei den Befragten unter 45 Jahren sind es sogar 60 Prozent. Parteiübergreifend wird von unangemessenen, anzüglichen Bemerkungen über Aussehen, Figur oder Kleidung berichtet; ebenso wie von taxierenden Blicken, mit denen die Frauen gemustert würden. Eine für die Studie befragte Politikerin erinnert sich an eine Situation, in der eine Frau von einem Parteikollegen sexualisiert beleidigt wurde. Die betroffene Frau sei anschließend aus der Partei ausgetreten.

Die Datenlage ist bis heute dünn, es braucht mehr empirische Zahlen und Belege. Wird sexistische Hassrede jedoch als Gegenstand empirischer Sozialforschung untersucht, sind die Zahlen eindeutig. So zum Beispiel auch in Brasilien: In dem Projekt MonitorA der der NGO AzMina[4] wurde (sexistische) Hassrede gegen weibliche Kandidatinnen sowie gegen Frauen in der Öffentlichkeit untersucht. Die Ergebnisse zeigten sexistische Beleidigungen, Bedrohungen und Angriffe im Rahmen von Kommentaren, Tweets und Nachrichten im Minutentakt. Die Gewalt unterschied sich auch zwischen den Frauen, Mehrfachdiskriminierung und Rassismus wurden deutlich: In Bahia wurden insbesondere Schwarze Kandidatinnen angegriffen, in anderen Regionen drehten sich die Angriffe etwa um Mutterschaft und Sexualität. Die Autor*innen schließen daraus: genderbasierte Gewalt ist einer der Hauptgründe, warum Frauen sich bewusst gegen politische Partizipation entscheiden. Das macht sexistische Hassrede zu einem Problem für die Demokratie.

Sexistische Hassrede ist ein Menschenrechtsthema

Bei sexistischer Hassrede handelt es sich um geschlechterbedingte Diskriminierung. Diese grundsätzlich zu bekämpfen ist Bestandteil von fast allen Menschenrechtsverträgen, insbesondere der AEMR, CEDAW sowie der Istanbul-Konvention. Derzeit wird sexistische Hassrede hierunter vor allem im Rahmen der Gleichstellung der Geschlechter, als Ausprägung von Gewalt gegen Frauen behandelt. Rechtswissenschaftler*innen fordern allerdings, sexistische Hassrede sowohl im Zusammenhang der Gleichstellung, als auch im Rahmen der von internationalen Menschenrechtsorganisationen geschaffenen Maßnahmen gegen Hassrede (Anti-Hate Speech) auf Grundlage der allgemeinen Menschenrechte anzuerkennen und zu bekämpfen.[5]

Was tun bei sexistischer Hassrede (im Netz)?

Fest steht: Frauen, Mädchen sowie nichtbinäre Personen werden durch (digitale) sexistische Hassrede und Gewalt im Internet strategisch zum Schweigen gebracht und ziehen sich als Folge aus den Diskursen zurück. Sind sie dazu politisch aktiv, BIPoC, LGBTIQ* oder haben eine Behinderung, werden sie noch häufiger angegriffen[6]. Sinnvolle Strukturen für die Nachverfolgung und Ahndung der Täter*innen fehlen jedoch bislang. Um die politische und gesellschaftliche Teilhabe der Betroffenen zu schützen und zu stärken, müssen Maßnahmen ergriffen werden – zivilgesellschaftlich und gesetzlich. Wie etwa in Brasilien: Nach den Erfahrungen mit sexistischer Hassrede vor der Wahl 2020 führten Debatten im brasilianischen Abgeordnetenhaus und Senat im August 2021 zu einem Gesetz, das unter anderem sexistische Hassrede, Belästigung und Diskriminierung von politischen Kandidat*innen als Straftatbestand erfasst. Es legt Normen fest, um politische Gewalt gegen Frauen während der Wahlen und der Ausführung ihrer politischen Rechte und öffentlichen Funktionen vorzubeugen, zu unterdrücken und zu bekämpfen. Wie zivilgesellschaftliche Organisationen den Gesetzgebungsprozess unterstützen können, zeigt die Organisation HateAid mit der Petition „Gerechtigkeit im Netz: #StopHateMakeLaws“, die auch die EAF Berlin unterstützt. Um sexistischer Hassrede online und offline jedoch langfristig vorzubeugen, müssen sexistischen, misogynen, rassistischen und diskriminierenden Einstellungen aufhören. Dafür hat das BMFSFJ in Kooperation mit der EAF Berlin 2023 das Bündnis „Gemeinsam gegen Sexismus“ gegründet, welches an die Gesamtgesellschaft appelliert: Sexismus und seine Auswirkungen können nur gemeinsam bekämpft werden.
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[1] Quelle: Human Rights Watch, World Report 2023.

[2] Quelle: Hoffmann, Zur Genealogie der Menschenrechte, in: Moralpolitik. Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert, 2016.

[3] Eine cis Frau ist eine Person, die bei der Geburt dem weiblichen Geschlecht zugewiesen wurde und sich auch als Frau identifiziert.

[4] Quelle: Heinrich Böll Stiftung, Genderbasierte Gewalt in der Politik - eine Gefahr für die Demokratie, 2022 (https://www.boell.de/de/2022/09/23/genderbasierte-gewalt-der-politik-eine-gefahr-fuer-die-demokratie).

[5] Quelle: Sękowska-Kozłowska et.al., Sexist Hate Speech and the International Human Rights Law: Towards Legal Recognition of the Phenomenon by the United Nations and the Council of Europe, 2022.

[6] Quelle: Hate Aid (https://hateaid.org/digitale-gewalt/#1686063637832-e1553919-c9b6)

Veröffentlicht am: | Autorin : Laura Giardina

Autorin
Laura Giardina

Laura Giardina arbeitet als Senior Expert im Projekt Bündnis "Gemeinsam gegen Sexismus“.

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